151123 – Friederike Drews

Sturmwächterrede von Friederike Drews (Schauspielerin) am 23.11.2015

151123-drewsLiebe Leute, lasst euch sagen,
Wir müssen heute die Sturmglocke schlagen.
Tosende Winde und schäumende Flut
Sind für ein Theater nicht gut.

Deshalb halte ich heute Wache
Für die Stadt und dieses Theaters Sache
Und läute mit 7 Schlägen
Sie ein, auf dass sich die Winde legen.

Liebes Publikum,
die heutige Sturmwache möchte ich nutzen, um die Worte des spanischen Dramatikers Federico Garcia Lorca, der 1936 im spanischen Bürgerkrieg ermordet wurde, in Erinnerung zu rufen.

„… Ich spreche heute Abend nicht als Autor, nicht als Dichter, … sondern als glühender Verehrer des Theaters der sozialen Aktion. …
Das Theater ist eines der ausdrucksvollsten und nützlichsten Mittel, um ein Land aufzubauen, und das Barometer, das seine Größe und seinen Abstieg anzeigt. … Das Theater ist eine Schule des Weinens und des Lachens und eine freie Tribüne, auf der die Menschen alte oder irrige Morallehren deutlich zeigen und durch lebendige Beispiele ewige Regeln des menschlichen Herzens und Gefühls ausdrücken können.
Wenn aber Schauspieler und Autoren in der Hand lediglich kommerzieller Unternehmen sind, … gehen Schauspieler, Autoren und das ganze Theater von Tag zu Tag … und rettungslos zugrunde. Das köstliche, leichte Theater der Revue, und des Schwanks, … könnte sich noch erhalten; aber das Stück in Versen, das geschichtliche Stück werden täglich mehr Rückschläge erleiden, weil sie zu den Gattungen gehören, die besonders hohe Anforderungen stellen. …

Das Gegenteil heißt, vor Angst hinter den Kulissen zittern, Phantasie, Imagination und Reiz des Theaters töten, das immer, immer Kunst ist, wiewohl es eine Zeit gegeben hat, in der man Kunst alles nannte, was geschmacklos war, um die Poesie zu zerstören und aus der Bühne einen Ort zu machen, der den Winden von allen Seiten ausgesetzt war. Kunst über alles. …
Vom bescheidensten bis zum hervorragendsten Theater soll man das Wort „Kunst“ an die Zuschauerräume und Schauspielergarderoben schreiben; geschieht das nicht, wird man das Wort „Handel“ anschreiben müssen oder ein anderes, das ich nicht auszusprechen wage. …

Ich bin nicht verträumt. Ich habe oft und kühl durchdacht, was ich denke. …
Ich weiß, dass nicht der die Wahrheit zu eigen hat, der „heute, heute, heute“ sagt und sein Brot direkt am Backofen isst. … Ich weiß, dass nicht der Recht hat, der „sofort, sofort, sofort“ sagt …, sondern der, der „morgen, morgen, morgen“ sagt und das neue Leben kommen fühlt, das über der Welt schwebt.“ 1

Diesen Worten von Federico Garcia Lorca möchte ich noch ein paar eigene hinzufügen:

Ich bin stolz, heute Abend die Sturmwache zu halten, denn sie ist ein wichtiger Schritt gegen die Zermürbungstaktik der jetzigen Kulturpolitik, die den Glauben und das Kämpfen für ein starkes und facettenreiches Volkstheater jedem Beteiligten schwer macht.
Hoffnungen, Visionen und Sicherheiten werden verdrängt durch Entmutigung, Frustration und Existenzängste.
Aber in Kürze hebt sich hier der Vorhang für den Kabarettisten Florian Schröder und welche bessere Gelegenheit gibt es heute Abend in Rostock, gemeinsam zu erleben, dass Sorgen und Kummer durch Humor und Gemeinschaft gelindert werden können – gemeinsam mit dem Freund zu meiner einen Seite und mit dem fremden Sitznachbarn zu meiner anderen. In einem Haus, welches die gleichen Sorgen und leidvollen Erfahrungen machen muss, wie die meisten Menschen in ihrem Leben.
Lasst uns heute und morgen und weiterhin lachen und wissen: Theater ist Demokratie – nie einfach, aber immer fruchtbar.

Seid wachsam,
bei Rostocker Windstärke sieben.

1 Quelle: http://archiv.beck-stiftung.ch/…/knowled…/taxonomy/8/50/I/34
(Aus: Federico Garcia Lorca, Die dramatischen Dichtungen. Deutsch von Enrique Beck. Insel Verlag, Wiesbaden 1954.)